Landesverband BW
Zum Gedenken an den bei einem Verkehrsunfall vor rund einem Jahr getöteten Radaktivisten Andreas Mandalka alias Natenom, fand am Sonntag, den 2.02.25 eine Gedenkfahrt von Pforzheim zur Unfallstelle bei Schellbronn statt. Dabei beteiligten sich über 300 RadlerInnen aus Pforzheim/Umgebung und ganz Deutschland, die damit auch ihren Frust über die herrschenden Verhältnisse für die Radler kundgetan haben.
Verschiedene Redner sprachen sich für eine Verbesserung im Radwegebau aus, kritisiert wurde auch das Verhalten diverser "Autokraten", die z.B. zu dicht an den Radlern vorbeifahren, die 1,50 Meter Abstand nicht einhalten, rasen und riskant einfädeln.
Angekündigt waren u.a.:
* Siegfried Schüle für Andreas sowie lokale Wegbegleiter*innen von Radverkehrsinitiative Critical Mass Pforzheim und ADFC Pforzheim-Enzkreis
* Nora Bendig, Natenom e.V.
* Fahrradaktivistin Ulrike Medger (alias Agathe Bauer alias @azetbur)
* Mirjam Brinkmann, Referentin Mobilität & Verkehr beim ADFC Baden-Württemberg
* Petra Schulz, Landesvorstand VCD Baden-Württemberg
* Katja Diehl, Mobilitätsexpertin, Podcasterin und Autorin von „Autokorrektur - Mobilität für eine lebenswerte Welt" und „Raus aus der AUTOkratie. Rein in die Mobilität von morgen"
und Falko Görres, ADFC Frankfurt am Main
Nachfolgend die Rede von Petra Schulz, VCD Baden-Württemberg:
Gutem Morgen zusammen. Wie viele von uns hat sich Andreas bei der Kidical Mass engagiert. Es ist einfach schön, wenn viele Kindern mit ihren kleinen Fahrrädern und Laufrädern auf den großen Straßen unterwegs sind - gut geschützt von der Polizei. Für mich ist das immer ein sehr außergewöhnlicher und hoffnungsfroher Moment, die Freude der Kinder zu sehen, wie sie eine kurze Zeit der Autonomie und Bewegung genießen.
Denn altersgemäß selbstständige, Mobilität für Kindern ist bei uns leider keine Selbstverständlichkeit. Sie fällt in unserem autogerechten Verkehrsraum weitgehend hinten runter.
Zugeparkte Kreuzungsecken, zugeparkte Fuß- und Radwege, Gefahrenstellen in Radverbindungen sind leider weit verbreitet in unseren Städten und Ortschaften. Viele Eltern bring ihr Kind mit dem Auto zur Schule, weil Radfahren und zu Fuß gehen ja nicht sicher ist. kein Wunder, bei viel zu viel Kfz-Verkehr. Auch viele Erwachsene schließen für sich selbst - aus Angst und Sorge - das Radfahren aus.
Ein wahrer Teufelskreis, denn genau, weil Menschen dann eben so viele Kurzstrecken mit dem Auto fahren - so viele Erst- Zweit- und Drittauto im öffentlichen Raum abstellen, wird das Unterwegssein ohne Blechpanzer so stressig, abschreckend und unsicher.
Der zuständige Mitarbeiter einer städtischen Straßenverkehrsbehörde sagte mir neulich, er würde seine Kinder niemals mit dem Fahrrad zur Schule fahren lassen und er finde es unverantwortlich, wenn andere Eltern das tun.
Die gleiche Straßenverkehrsbehörde sieht bisher keine Möglichkeit an einer Querungsstelle der Landstraße die zulässige Höchstgeschwindigkeit zu beschränken und Geschwindigkeitskontrollen durchzuführen. Auf dieser bekannten Raserstrecke wurde am 31. Juli 2024 ein sportlicher 32-jähriger auf seinem E-Bike beim Queren totgefahren. Aus eigener Erfahrung weiß ich, an der Querungsstelle muss man sich auch als einigermaßen fitter Erwachsener sehr konzentrieren. Tagtäglich queren dort aber auch Eltern mit Kindern und auch viele ältere Menschen zu Fuß und mit dem Rad. Sie bleiben jetzt weiter der Gefahr durch Raser ausgesetzt. Und hier schleißt sich der Kreis wieder zum Todfahrer von Andreas. Wir brauchen endlich ein Mobilitätssystem das unabhängig von Führerschein und Auto Mobilitätsbedürfnisse befriedigt und das Grundrecht auf Teilhabe ermöglicht.
Warum beispielsweise kleben ältere Menschen so sehr am Autofahren, auch wenn ihr Gesundheitszustand hinterm Steuer bereits eine Gefahr für alle anderen bedeutet? Weil sie in unserer autozentrierten Welt eben keine anderen Optionen der Mobilität haben. Weil gerade auf dem Lande ihr selbstbestimmtes Leben - ihre Möglichkeiten auf Teilhabe - ohne Auto sehr eingeschränkt sind. Der Unfallhergang von Natenom deutet darauf hin: „kein Ausweichmanöver - ungebremst von hinten gerammt und gänzlich übersehen" weist einmal wieder auf diesen systemischen Fehler hin. Genau so könnten Setting aber auch heißen: der Todfahrer ist jung und lebt auf dem Land, da fährt der Bus nur sehr sporadisch und das Auto bringt die Leichtigkeit der Mobilität. Die Gesellschaft und auch Polizei und die Justiz signalisieren, dass „flott"
Autofahren erwünscht ist und bei Gefährdung von Menschen auf dem Rad weggeschaut wird.
Viele Jahrzehnte wurden systematisch enorme Privilegien fürs Autofahren eingerichtet und werden Gefährder im Verkehr weitgehend akzeptiert und toleriert. Erst seit 2011 werden zumindest in unserem Landesverkehrsministierium viele Weichen in eine bessere Richtung gestellt. Mit der ÖPNV-Strategie 2030 soll das ÖPNV-Angebot vom 2022 bis 2030 verdoppelt werden. Eine Mobilitätsgarantie, wie in der Schweiz, sollen auch auf dem Land gute ÖPNV-Taktungen garantieren. Tragischerweise verweigert der Bund und der Koalitionspartner die Finanzierung. Damit drohen auch die erst eingeführten Regiobusse einer falschen Finanzideologie zum Opfer zu fallen. In unseren Kommunen und Landkreisen gibt es zweifellos auch beim Fuß- und Radverkehr noch große Defizite. Viele neue Fuß- und Radverbindungen werden aber möglich durch LGVFG-Fördergelder, bestimmt kennt ihr auch das Programm Movers, die Fußverkehrschecks, den Falschparkererlass und die Qualitätsstandards für das RadnetzBW. Ganz neu ist der Erlass zur sofortigen Anwendung des neuen Straßenverkehrsrechts. 2018 ist das VM mit dem Ziel von 20 Radschnellverbindungen gestartet. Daran arbeitet in den Regierungspräsidien ein Stab von qualifizierten und hoch motivierten Menschen. Leider stecken die meisten Radschnellverbindungen immer noch im Planungsstadium fest. Die meisten Trassenverläufe werden von erbitterten GegnerInnen vor Ort bekämpft. In vielen Kommunen wir jeder Parkplatz und insgesamt die Vorherrschaft des Autos zäh verteidigt.
Dabei bringen gute Bedingungen nachweislich den Erfolg. Gute Radinfrastruktur und ein guter Schutz durch die Verkehrsüberwachung erkennt man eigentlich immer daran, dass auch Kinder, Hochbetagte und eher ungeübte Meschen mit dem Fahrrad unterwegs sind.
Doch es geht um mehr, um den Beitrag des Sektors Verkehr zur Rettung unserer Lebensgrundlagen, um lebenswerte, schöne und leisere Städte und Ortschaften, um gute Luft und Teilhabe an Mobilität. Um Bezahlbarkeit des Mobilitätssystems und Gesundheit durch alltägliche Bewegung und deutlich weniger Unfallopfer im Straßenverkehr.
Die Universität Kassel hat ermittelt, dass der Kfz-Verkehr für die Kommunen mit Abstand die höchsten Kosten beim Verkehr verursacht, ÖPNV benötigt in der Regel 2/3 weniger Zuschüsse und der Fuß- und Radverkehr erhält die geringsten Zuschüsse und bringt den höchsten Nutzen.
Die gute Nachricht ist, überall in den Landkreisen und Kommunen arbeiten inzwischen auch viele gut ausgebildete und hoch motivierte Profis an diesem zukunftsfähigen Mobilitätssystem. Lasst uns mit ihnen zusammenarbeiten und sie unterstützen. Ich bin Petra Schulz vom VCD-Landesverband Baden-Württemberg und ich freue mich mit euch gemeinsam Natenoms Ziele - unsere Ziele weiter zu verfolgen und gemeinsam ein besseres Mobilitätsystem zu fordern und mit zu organisieren. Mobilität für alle, für ein gutes Leben innerhalb der planetaren Grenzen. Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit.
Wir haben Petra nach ihrer engagierten Rede noch kurz befragt, auch zum Unglücksfall mit Natenom.
Petra, kann man davon ausgehen, das hier eventuell auch ein altermäßiges Problem bei diesem schweren Unfall vorliegt bzw. sollten Senioren ab einer gewissen Altersgrenze wie in anderen EU-Ländern regelmässig auch medizinisch überprüft werden?
Ja, das wäre durchaus Sinn machen, dadurch könnten viele Unfälle verhindert werden; in diesem Fall ist ja offenbar eine gewisse Starrheit festzustellen. Ander Länder sind uns weit voaus wie z.B. die Niederlande, "da ist doch noch viel Luft drin?! Ja, die Verhältnisse in den Niederlanden sind geradezu paradiesisch zu benennem. wir müssen dran bleiben, damit sich hier mehr ändert.