(SWR, 3.November 2020)
Laut einer Studie des Verkehrsministeriums würde es sich lohnen, mehr als 30 stillgelegte Bahnstrecken in Baden-Württemberg wieder in Betrieb zu nehmen. Dafür gibt es Geld von Bund und Land.
In Baden-Württemberg liegen zahlreiche Zugstrecken brach, aber das soll sich jetzt ändern. Denn für eine Verkehrswende im Land braucht es auch mehr Züge, die fahren. So sollen nun alte Bahnverbindungen wieder reaktiviert werden. Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) sagte bei der Vorstellung der Studie, in vielen Strecken stecke beträchtliches Potenzial und das wolle man jetzt heben. Bis zu 90 Prozent der Kosten werden vom Bund übernommen.
• Reutlingen Hbf - Engstingen (Echaztalbahn)
• Marbach (Neckar) - Heilbronn (Bottwartalbahn)
• Reutlingen Hbf - Nehren Süd (Somaschell)
• Stuttgart - Untertürkheim - Kornwestheim Pbf (Schusterbahn)
• Breisach - Colmar
• Ludwigsburg - Markgröningen (Markgröninger Bahn)
• Ettlingen West - Ettlingen Erbprinz (Albtalbahn)
• Weil der Stadt - Calw (Hermann-Hesse-Bahn)
• Göppingen - Schwäbisch Gmünd (Hohenstaufenbahn)
• Göppingen - Bad Boll (Voralbbahn)
• Göppingen - Kircheim (Teck)
• Filderstadt - Neuhausen (Filder) (Filderbahn)
• Balingen (Württ) - Schömberg (b Balingen) - Rottweil (Zollern-Alb-Bahn 3)
• Schopfheim - Bad Säckingen (Wehratalbahn)
• Karlsruhe-Neureut - Karlsruhe - Mühlburg (Hardtbahn)
• Graben-Neudorf - Hochstetten (Hardtbahn)
• Singen (Hohentwiel) - Etzwilen TG
• Waldenburg (Württ) - Künzelsau (Kochertalbahn)
• Lauffen (Neckar) - Zaberfeld (Zabergäubahn)
• Sigmaringen/Mengen - Krauchenwies - Stockach (Ablachtalbahn)
• Mengen - Krauchenwies - Stockach (Ablachtalbahn)
• Albstadt-Ebingen - Albstadt-Onstmettingen (Talgangbahn)
• Neckarbischofsheim Nord - Obergimpern - Hüffenhardt/Bad Rappenau (Krebsbachtalbahn)
• Haltingen - Kandern (Kandertalbahn)
• Engstingen - Gammertingen (Schwäbische-Alb-Bahn)
• Heimerdingen - Weißach (Strohgäubahn)
• Kirchheim (Teck) - Weilheim (Teck) (Kleine Teckbahn)
• Engstingen - Münsingen - Schelklingen (Schwäbische-Alb-Bahn)
• Lauchringen - Stühlingen (Wutachtalbahn)
• Eyach - Hechingen Landesbahn (Zollern-Alb-Bahn 4)
• Rastatt - Haguenau
• Neckarbischofsheim Nord - Obergimpern - Hüffenhardt (Krebsbachtalbahn)
• Altshausen - Pfullendorf (Räuberbahn)
• Leutkirch - Isny
• Balingen (Württ) - Schömberg (b Balingen) (Zollern-Alb-Bahn 3)
• Roßberg - Bad Wurzach (Roßbergbahn)
• Bühl (Baden) - Stollhofen
• Hintschingen - Blumberg-Zollhaus (Aitrachtalbahn)
• Amstetten (Württ) - Gerstetten (Lokalbahn)
• Maulbronn West - Maulbronn Stadt (Klosterstadt-Bahn)
• Rudersberg-Oberndorf - Welzheim (Wieslauftalbahn)
• Blaufelden - Langenburg
Laut Hermann sind die Bedingungen so günstig wie noch nie: "Der Bund fördert die Baukosten für Reaktivierungsvorhaben neuerdings mit bis zu 90 Prozent. Das Land beteiligt sich zudem an den verbleibenden Kosten, so dass im Ergebnis Streckenreaktivierungen mit bis zu 96 Prozent der Baukosten gefördert werden können." Auch Machbarkeitsstudien will das Land bis 2023 fördern und bis zu drei Viertel der Kosten übernehmen. Auch den Betrieb der Strecke will grundsätzlich das Land übernehmen.
Nach Angaben des Verbandes Allianz pro Schiene sind allein in Baden-Württemberg in den vergangenen 25 Jahren rund 178 Kilometer Eisenbahnstrecke für den Personenverkehr freigegeben worden, auf weiteren 25 werden nun Güter transportiert. Das sind laut Allianz mehr Kilometer als im selben Zeitraum abbestellt wurden. Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) sieht das Land deshalb auch bereits auf einem guten Weg. Baden-Württemberg setze ähnlich wie Hessen und Niedersachsen schon länger auf Reaktivierungen, um den Schienenverkehr zu beleben.
"Bei einer solchen Reaktivierung hat man zunächst mal einen Fuß in der Türe. Ausbauen kann man die Verbindung später immer noch", sagt zudem der Landesvorsitzende von Pro Bahn, Stefan Buhl. Der Fahrgastverband Pro Bahn, der Mitglied in der Allianz pro Schiene ist, argumentiert mit Umweltaspekten. Außerdem feierten bereits wiederbelebte Strecken große Erfolge. Zum Teil seien Prognosen, die vor der Reaktivierung erstellt wurden, um das Zehnfache übertroffen worden.
Eigentlich ist es kaum zu glauben: Da machen Bundes- und Landesregierung ein Angebot, wie es großzügiger und attraktiver kaum sein könnte, - und eine Mehrheit des Verwaltungsausschusses im Rottweiler Kreistag lehnt diese einmalige Offerte ab. Wie schon mehrfach berichtet und kommentiert, wären Bund und Land bereit, die Baukosten einer möglichen Reaktivierung der Zugstrecke nach Balingen bis zu 96 Prozent zu finanzieren, inclusive aller Aufwendungen für die zum Teil neu zu bauende Trasse. Auch eine genaue Prüfung, ob das Projekt realistisch und machbar ist, würde der Staat zu 75 Prozent bezuschussen. Aber bereits diese Machbarkeitsstudie ist den Kreisräten offensichtlich ein Dorn im Auge, denn im Gegensatz zum Zollern-Alb-Kreis wollen sie sich an ihrer Finanzierung nicht beteiligen.
Man reibt sich die Augen: Alle Welt spricht heute von der Klimakrise und dass alle Hebel in Bewegung gesetzt werden müssen, den drohenden Kollaps noch aufzuhalten. Fast jedes kleine Kind weiß inzwischen, dass dem Verkehrssektor hierbei eine besondere Bedeutung zukommt. Denn wegen des ständig gewachsenen Individualverkehrs ist dies der einzige Bereich, in welchem in den letzten Jahren die Co2-Emissionen zugenommen statt abgenommen haben. Konsequenz: Um mehr Menschen zum Umstieg vom Privat-PKW auf öffentliche Verkehrsmittel zu bewegen und dadurch klimaschädliche Abgase einzusparen, ist der flächendeckende Ausbau des ÖPNV von größter Wichtigkeit. Deshalb ist die Offensive des Landes zur Reaktivierung von über 30 ehemaligen Schienenstrecken ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Doch im hiesigen Kreistag scheinen diese Überlegungen noch keine große Rolle zu spielen. Denn anders ist nicht zu erklären, dass eine Mehrheit bereits ablehnt, sich überhaupt mit der Realisierbarkeit des Vorhabens zu befassen. Obwohl über den positiven Klimaeffekt hinaus auch der Bahnknoten Rottweil durch die neue Strecke erheblich aufgewertet und jede Anliegergemeinde sehr profitieren würde. Es sei „utopisch“. Offensichtlich will man es gar nicht so weit kommen lassen, dies ernsthaft zu prüfen. Als ob man Angst vor dem Ergebnis hätte, wenn dabei herauskommen würde, dass das Projekt nicht „utopisch“, sondern durchaus realistisch wäre. Klar, wenn man bisher in der Verkehrspolitik vor allem an sein Auto, den Straßenzustand und genügend Parkplätze gedacht hat, dann sind einem solche Gedanken fremd. Und schnell ist man bei dem Schluss: „Wozu brauchen wir eine neue Zugstrecke? Ich fahre ja sowieso Auto!“
(Rottweil, 09.Dezember 2020)
Einmal ganz davon abgesehen, was in Zukunft auf Staat, Land, Länder und Gemeinden finanziell zukommen wird, erscheint die Mehrheitshaltung des Verwaltungsausschusses zur Machbarkeitsstudie der Reaktivierung der Bahnstrecke Balingen-Rottweil völlig unverständlich. Gerade die Zentralfunktion des Knotenpunktes Rottweil könnte erheblich gestärkt werden, was wiederum der aktuellen Gäubahnbewertung zu Gute kommen würde. Wenn schon die Interessen der Nachbarkreise an diesem Projekt so deutlich signalisiert werden, kann es doch nicht durch enggedachtes Zaudern gerade des Verwaltungsausschusses des Rottweiler Kreistages auf Dauer zum Scheitern verurteilt werden.
Ob ich jemals wieder wie damals als Kind die Freude haben werde, mit diesem Zügle zu fahren, ist mir als weiterdenkender Bürger nun wirklich egal. Wer seine Ich-Perspektive so hoch ansetzt, sollte in verantwortlichem Amte lieber zweimal durchatmen. Ich frage mich zudem, ob es nicht Fügung des Schicksals war, das zwar von mir nicht selbst gestohlene, aber 20 Jahre beherbergte Bahnhofsschild „WELLENDINGEN“ vor Jahren an den Bauhof dort reumütig zurückgeschenkt zu haben.
(Villingen-Schwenningen, 13. Dezember 2020)
Mit großem Bedauern lese ich von der Ablehnung einer Machbarkeitsstudie für die Reaktivierung der Bahnstrecke Rottweil – Balingen durch den Kreistag. Schon die Ablehnung der Regio-Bus-Planung in der gleichen Relation vor einigen Jahren war mir unverständlich: Hätte der Erfolg eines guten Taktsystems mit hohem Bedienungsstandard und weitreichender Netzfunktion doch zeigen können, dass ein ausreichendes Fahrgastpotential vorhanden ist auf einer schnellen 25km-Direktverbindung, die heute meist mit mehr als 1 Stunde Bus-Fahrzeit auf Umwegen und ohne zuverlässigen Takt und Anschluss gefahren wird.
Nicht die Reaktivierung der Bahnstrecke ist „utopisch“, sondern das „Weiter so“ in der Verkehrspolitik: In der Region werden Straßenbauprojekte im großen Maßstab vorangetrieben (z.B. B31, B27, B523), Bahnprojekte bleiben schon im Ansatz stecken. Es sind oft die gleichen Leute, die beim Bahnausbau bremsen und gleichzeitig noch mehr Straßen und noch mehr Spuren fordern – mit der Folge: noch mehr Verkehr, noch mehr Umwelt- und Klimabelastung.
Die Elektrifizierung Rotttweil-Villingen in 5 Jahren ist das einzige nennenswerte Bahnprojekt in der Region, wird jedoch weitgehend von Bund und Land finanziert und gebaut. Auch der Gäubahn-Ausbau kann nicht als Ausrede für Nichtstun heute dienen, da er weder finanziell noch personell die Kreisebene belastet.
Meine Hoffnung richtet sich auf eine vernünftige, kommunalpolitische Weichenstellung in Rottweil und Balingen: Beide Städte könnten das Versagen auf Landkreisebene ausgleichen und diese fast vollständig vom Land finanzierte Machbarkeitsstudie in Auftrag geben und zumindest den ersten Schritt einleiten für die Reaktivierung der Bahnstrecke Balingen-Rottweil.