Baden-Württemberg

Infrastruktur, Schienenverkehr
Esslingen

Stellungnahme zu den Auswirkungen von "Stuttgart 21" (S21) bezogen auf den Kreis Esslingen

1. Fahrplan im Neckartal

  • Durch Verlagerung auf die Neubaustrecke (NBS) fällt im Neckartal ein Teil der regelmäßigen RE-Direktverbindungen nach Ulm (Donauwörth etc.) und Tübingen (bisher mindestens Stundentakt) weg. Der Umfang der Reduzierung ist offen.
  • Esslingen wird künftig noch mehr zum S-Bahn-Halt degradiert. Zum Vergleich: Böblingen hat bereits Zusage als IC-Halt erhalten. Beibehaltung von IC-Halt in Plochingen fraglich (bisher 2-Stunden-Takt). Ebenso dürften die im Dieselbetrieb gefahrenen IRE-Direktverbindungen von Stuttgart über Plochingen nach Friedrichs­hafen entfallen (bisher 2-Stunden-Takt).
  • Mehrverkehr im Neckar - und Filstal ist nicht über S21 finanziert, sondern muss von Land und Region extra bestellt werden. Die Werbung für S21 suggeriert, dass die Finanzierung bereits entschieden sei.
  • Ein Umsteigen von der S-Bahn-Linie 1 auf den Fernverkehr in Wendlingen ist nicht möglich, da der ursprünglich dort geplante Knotenbahnhof entfallen ist. D.h., wenn ein Kirchheimer Bürger mit dem ICE nach München oder Bratislawa will, muss er weiterhin zuerst nach Stuttgart zurückfahren. Falls der IC-Halt in Plochingen aufgegeben wird, fällt diese Alternative auch weg.
  • Klarer Vorteil durch die NBS: Problemloser Ausbau der S-Bahn nach Göppingen/Geislingen (Filstal) mit den vorhandenen zwei Gleisen möglich.

2. Umsteigen in Stuttgart Hbf

  • Der Umsteigekomfort dürfte sich auch für viele Esslinger Bahnkunden ver­schlechtern, da mit dem 8-gleisigen Durchgangsbahnhof kein ITF (Integraler Taktfahrplan = gleichzeitige Umsteigemöglichkeit in alle Hauptrichtungen zu bestimmten Zeittakten) machbar ist.
  • Die zunehmende Zahl von Mobilitätsbehinderten, darunter auch Eltern mit Kinder­wagen oder Fahrgäste mit Fahrrädern, wird bei der Nutzung der vor­gesehenen Aufzüge viel Zeit benötigen und bei großem Andrang den Anschluss­zug verpassen.
  • Laut Bahn sollen RE-Linien, die bisher im Hbf enden, zu Durchmesserlinien zusammen­gefasst werden. Bisher ist nicht bekannt, ob Esslingen/Plochingen dadurch attraktive neue Direktverbindungen erhält. Bisher gibt es nur eine umsteigefreie RE/RB-Verbindung im Stundentakt von Plochingen/Esslingen nach Heilbronn/Mosbach-Neckarelz.
  • Bei der S-Bahn wird man weiterhin im Stuttgarter S-Bahn-Tunnel auf die S-Bahn-Linien 4,5 und 6 umsteigen müssen. Ob hierbei die vorgeschaltete neue Station Mittnachtstraße eine Verbesserung der Anschlüsse bringt, ist offen. Eine direkte Tangentialverbindung in Richtung Feuerbach/Ludwigsburg, wie sie im Tangens-Konzept des VCD propagiert wird, ist nicht vorgesehen.

3. Fahrplanstabilität

  • Das S-Bahn-System in der Region, das zu 100 Prozent über einen einzigen zweigleisigen Tunnel durch die Stuttgarter City betrieben wird, ist für Störungen extrem anfällig. Bisher ist im Notfall ein Ausweichen in den oberirdischen Kopfbahnhof und die Mitbenutzung der Fernverkehrsgleise (z.B. alte Gäubahntrasse) möglich, um wenigstens einen Notbetrieb aufrecht zu erhalten. Künftig wird die S-Bahn-Linie 1 bei Störungen im Tunnel bereits in Bad Cannstatt ihre Fahrt beenden müssen.
  • Die Auswirkungen für die Bahnkunden aus dem Neckartal werden gravierend sein, da künftig weniger RE-Züge zum Ausweichen zur Verfügung stehen, um bei Störungen der S-Bahn den Hbf zu erreichen.

4. Schienenanbindung Esslingen - Filder

  • Durch den Fernbahnhof am Flughafen werden die Filderkommunen noch besser an Stuttgart-Mitte angeschlossen und erhalten eine Direktverbindung in Rich­tung Nürtingen/ Tübingen. Das Interesse an einer Schienenverbindung ins Neckar­tal bei Esslingen wird gegen Null sinken (Stadtbahntrasse von Nellingen ist freigehalten). Schon jetzt ergeben sich für Esslingen erhebliche Probleme, beim Busverkehr auf die Fildern nicht in den Verkehrsschatten zu geraten.
  • Der vom Landkreis postulierte Zusammenhang zwischen der Umsetzung von S21 und dem gewünschten Ausbau der S-Bahn nach Neuhausen erschließt sich nicht, denn es würde sich um eine Paralleltrasse zur NBS handeln.

5. Erreichbarkeit des Flughafens von Esslingen

  • Derzeit erreicht man den Flughafen umsteigefrei in 35 Minuten mit der Buslinie 122 zum Preis von 3,30 Euro für 3 Zonen.
  • Um von Esslingen über die NBS den Flughafen zu erreichen, muss in Stuttgart Hbf umgestiegen und i.d.R. vom S-Bahn-Tunnel auf die Ebene des Fernbahnhofs gewechselt werden. Es ist fraglich, ob die ICE-Züge Richtung Ulm mit dem VVS-Ticket genutzt werden dürfen. In jedem Fall sind auf dieser Strecke 4 Zonen, d.h. 4,40 Euro zu bezahlen. Mit dem Halt in der Mittnachtstraße dauert die Fahrt zum Hbf ca. 20 Minuten, dazu ca. 10 Minuten für das Umsteigen und weitere 8 Minuten für die Fahrt auf der NBS zum Flughafen. Damit liegt der Zeitaufwand über dem der Buslinie 122.
  • Alleine mit den RE-Zügen nach Tübingen und zur Gäubahn wird sich kein attrak­tiver Taktverkehr zum Flughafen ergeben. Eine neue S-Bahn-Linie vom Hbf zum Flughafen ist fraglich, da eine Ring-S-Bahn wegen fehlender Verbindungs­kurven am Hbf und/oder in Wendlingen nicht machbar ist.

6. Flughafenausbau als logische Folge

  • Durch den Fernbahnhof strebt der Flughafen eine Vergrößerung seines Einzugs­gebietes an. Über die ICE-Anbindung wird es möglich, mit den Flughäfen in Frankfurt/Main und München zu konkurrieren. Neue Ziele, auch Interkontinental­flüge, können profitabel angeboten werden: Ein Direktflug nach Dubai, das Drehkreuz nach Asien/Australien ist, wurde schon öffentlich genannt.
  • Die finanzielle Beteiligung an S21 spricht dafür, dass sich der Flughafen durch den Fernbahnhof ein deutliches Wachstumspotential verspricht und das in der S21-Werbung genannte Ziel, Flüge zu vermeiden, vorgeschoben ist.
  • Mit der Inbetriebnahme des Fernbahnhofs am Flughafen werden mit größter Wahrscheinlichkeit die Pläne, eine zweite Startbahn zu bauen, wieder auf den Tisch kommen.

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