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Reutlingen
Reutlinger Nachrichten, Rubrik Impulse, 2.12.2017
Knapp sechzig Todesopfer in Reutlingen pro Jahr als Folge gesundheitsschädlicher Luftverschmutzung!
Eigentlich wäre das eine fette Schlagzeile wert, und doch wird es kaum wahrgenommen. Natürlich sind die 59 Todesopfer in Reutlingen nur eine statistische Zahl, errechnet aus der angenommenen Zahl bundesweiter Todesfälle durch Feinstaub: Laut Umweltbundesamt sterben etwa 45 000 Menschen pro Jahr daran frühzeitig. Die Opfer kennt man nicht und sie sterben nicht dort, wo sie sich tödliche Erkrankungen wie Lungenschädigungen oder Trombosenbildungen zugezogen haben, also zum Beispiel in der Lederstraße. Die Opfer wissen selbst nicht, dass sie Opfer sind, wenn sie an Folgen der Luftverschmutzung sterben. Und doch gibt es sie.
Nicht die einzige Ursache, aber eine der Hauptursachen für die beiden Krankmacher Feinstaub und Stickstoffdioxyd ist der Straßenverkehr. Auf dem Klageweg hat die ‚Deutsche Umwelthilfe‘ DUH, eine Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation, auch für Reutlingen wirkungsvolle Maßnahmen zur Luftreinhaltung eingefordert. Zum Beispiel die Reduzierung des innerstädtischen ‚motorisierten Individualverkehrs’ (MIV), Einschränkungen für Lkw-Durchfahrten und Umrüstung der ÖPNV-Busse auf abgasarme Antriebe. In der Folge wurden die Stickoxid-Grenzwerte im Jahresmittel an vielen Messstellen unverändert weit überschritten. Auch die Messstelle Lederstraße behielt ihre bundesweite Spitzenposition mit 66 mg/m³ (der zulässige Grenzwert: 50 mg/m³). Deshalb sind weitere Klageverfahren angekündigt. Diese Klageverfahren der DUH könnte sich in Reutlingen als Segen für die Stadt erweisen. So wurden schon vor einigen Jahren Konzepte für ÖPNV- und Radverkehr groß angekündigt. Der Anteil des ÖPNV am Gesamtverkehr (Modal Split) soll endlich seine im Städtevergleich beschämende 10% Marke verlassen und bis 2030 auf 12% ansteigen. Und sogar vom ‚Modellcharakter‘ war die Rede, als der ‚Masterplan Radverkehr - E-Bike-City‘ vorgestellt wurde. Danach wurde es allerdings ziemlich still, die Konzepte schlummerten bislang friedlich in irgendwelchen Schubladen. Durch die Klagen der DUH kann sich das jetzt schnell ändern, denn Plazebo-Maßnahmen, wie die Stellwände mit Fetthennen-Bepflanzung an der Lederstraße werden nicht ausreichen. Ob und in welchem Ausmaß die Eröffnung des Scheibengipfeltunnels Entlastungen mit sich bringt, wird man erst nach einigen Monaten sehen können. Aber dass auch der Tunnel nicht alle Reutlinger Verkehrsprobleme lösen wird, dass sehen selbst die, die ihn früher wie den heiligen Gral durch die verkehrspolitischen Diskussionen getragen haben.
Verwaltung und Gemeinderat sind im Zeitdruck und werden wirksame Maßnahmen vorweisen und
durchführen müssen, selbst auf die Gefahr hin, dass sie nach unbeliebten Maßnahmen in den Leserbriefspalten gegeißelt werden.
Peter Stary
VCD Kreisgruppe Reutlingen